Julie Shanahan

Julie Shanahan

wird 1962 im australischen Adelaide geboren, wo sie bereits im Alter von sieben Jahren zu tanzen beginnt. Der Berufswunsch liegt nahe: ihre Mutter betreibt eine Ballettschule, die nach Royal Academy of Dance-Standard ausbildet. So wird Tanz zu ihrer eingeborenen Sprache. Nach der Schule studiert sie zusätzlich zwei weitere Jahre am Center for Performing Arts modernen Tanz. Es ist der Choreograf Kai Tai Chan, der sie entdeckt und im Alter von 19 an seine One Extra Dance Company nach Sydney engagiert. Zu verdienen gibt es nicht viel, aber Julie genießt die Zeit der freien Experimente. Ein weiteres Engagement im Norden Australiens erlaubt es ihr, ein wenig Geld anzusparen. Gemeinsam mit einem Freund, der Kontakt zu Reinhild Hoffmann und ihrer Truppe in Bremen hat, reist sie 1983 nach Deutschland. Bei einer Audition engagiert Reinhild Hoffmann sie. Obwohl sie zunächst nur für ein Jahr unterschreibt und unter heftigem Heimweh leidet, verlängert Julie Shanahan ihren Vertrag immer wieder und wechselt schließlich mit Hoffmann nach Bochum.

Sehnsuchtsziel Wuppertal

Die räumliche Nähe zu Wuppertal bringt sie ihrem eigentlichen Sehnsuchtsziel ein Stück näher. Schon in Australien hat sie 1982 das Tanztheater gesehen und fühlt eine tiefe innere Verbundenheit mit dieser Arbeit. Doch traut sie sich lange Zeit nicht, zu einem Vortanzen zu gehen. 1988 schließlich engagiert Pina Bausch sie an ihr Ensemble. 21 Jahre arbeiten beide bis zum Tod Pina Bauschs 2009 zusammen. Julie Shanahan tanzt in insgesamt 30 Stücken; allein bei zwölf Produktionen, angefangen bei Palermo Palermo, gehört sie zur Originalbesetzung und prägt die Arbeit mit ihrem unverwechselbaren Charakter.

Die Vielseitige

Sie kann von schneidender Scharfzüngigkeit sein und ebenso glaubhaft äußerste Verzweiflung und Hilflosigkeit verkörpern. Die Variationsbreite ihrer Rollenerfindungen ist groß und sie gehört damit zu den markanten Protagonistinnen des Tanztheaters. Die Bewegungssprache der Pina Bausch scheint ihr ohnehin wie auf den Leib geschneidert und sie versteht es, sie mit emotionaler Tiefe zu verkörpern. Weil der Tanz ihre natürliche Ausdrucksform ist, mag sie an einen Abschied von der Bühne nicht denken. Warum auch? Für Pina Bausch konnte Tanz immer schon alles sein und unabhängig vom Alter existieren, wie alleine schon die Version von KontakthofKontakthof. Mit Damen und Herren ab „65“ mit Wuppertaler Senioren eindrucksvoll belegt. Daneben sorgt Julie Shanahan als erfahrene Probenleiterin dafür, dass die Werke an die junge Generation aus dem gleichen Geist weitergegeben werden, aus dem sie geschaffen wurden. So arbeitete sie auch an der Einstudierung von Pina Bausch Frühlingsopfer mit Tänzer:innen aus verschiedenen afrikanischen Ländern mit, einer Kooperation der Pina Bausch Foundation mit der École des Sables/Senegal und Sadler’s Wells, London, sowie bei der Einstudierung von Kontakhof an der Pariser Oper. Außerdem wirkte sie in den letzten Jahren in Kreationen von Tim Etchells, Alan Lucien Øyen und Rainer Behr mit. 2021 trat sie in Robert Wilsons Stück I was sitting on my patio this guy appeared I thought I was hallucinating und damit auf Tournee. Seit 2022 ist sie mit dem Stück L’Etang in der Regie von Gisèle Vienne auf Tour.

Text: Norbert Servos