Marlis Alt
Marlis Alt ist von 1973 bis 1978 Tänzerin im Tanztheater Wuppertal. Sie arbeitet an 13 Stücken von Pina Bausch mit.
Informationen
1950 | geboren in Uffenheim |
1973 bis 1978 | Mitglied im Tanztheater Wuppertal |
19. Juni 2020 | stirbt in der Schweiz |
Biografie
Marlis Alt
wird am 19. März 1950 im bayerischen Uffenheim geboren und beginnt im Alter von 16 Jahren ihre Tanzausbildung an der Essener Folkwang-Hochschule. Zu ihren Lehrern zählen u.a. Egbert Strolka, Jean Cébron und Hans Züllig. Nach Abschluss ihrer Ausbildung wird sie Mitglied im Folkwang-Tanzstudio unter Leitung von Pina Bausch und tanzt in deren Choreografien Fragment, Im Wind der Zeit, Aktionen für Tänzer und Nachnull. Es ist nicht nur die Bewegungssprache der Choreografin, die sie fasziniert, es ist ebenso ihre Arbeitsweise. Pina Bausch gibt zwar Bewegungen vor, aber sie nimmt auch Improvisationen ihrer Tänzer:innen auf, geht auf jede:n in seiner oder ihrer Besonderheit ein. Sie gibt jeder und jedem Raum für eigene Interpretationen. Für Marlis Alt ist es „eine wirkliche Zusammenarbeit im Dialog mit ihr“. So kann jede:r sich weiterentwickeln. Das ist zu dieser Zeit nicht selbstverständlich.
Sacre
1972 geht sie mit einem DAAD-Stipendium nach New York, um an der Martha Graham School u.a. bei Yuriko und Mary Hinkson zu studieren. 1973 kehrt sie nach Deutschland zurück und wird von Pina Bausch an ihr neu gegründetes Tanztheater nach Wuppertal engagiert. Sie wird zu einer der Tänzerinnen der ‚ersten Stunde‘, tritt in so unterschiedlichen Stücke wie Fritz, der ‚Schlager-Revue‘ Ich bring dich um die Ecke..., Adagio – fünf Lieder von Gustav Mahler oder der Tanzoper Orpheus und Eurydike auf. In dem ursprünglich dreiteiligen Abend Frühlingsopfer (1975) hat sie Rollen in allen drei Teilen. Herausragend wird ihre Gestaltung des Opfers im letzten Part zu Igor Strawinskys Le Sacre du printemps. Marlis Alt verleiht dem Schmerz, der Verzweiflung und Angst ihrer Hauptfigur eine atemberaubende emotionale Direktheit und konfrontiert die Zuschauer:innen unausweichlich. Ihre Rollenkreation wird zum Maßstab für viele nachfolgende Tänzerinnen. Gleichwohl sieht sie in der Opferung zur Erneuerung des Jahreszeiten-Rhythmus auch eine tröstliche Seite: Sie liegt für sie in der Gemeinschaft des Rituals, das alle miteinander verbindet. Alle sind Opfer; niemand ist allein. Dabei ist sie sich bewusst, wie sich Atavistisches und Zeitgenössisches, Archaisches und Gegenwart in Pina Bauschs Choreografie ineinander verschränken.
Judith
Nach Auftritten in dem Brecht/Weill-Doppelabend Die sieben Todsünden (1976) setzt sie mit der Rolle der Judith in Blaubart – Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ (1977) einen weiteren Meilenstein. Wieder ist eine Frau das Opfer, wieder spielt sie Marlis Alt in einer Mischung aus widerständiger Kraft und Hoffnungslosigkeit, Aufbegehren und Verzweiflung. Erst das verleiht ihrer Rollengestaltung die nötige Brisanz, rückt ihre Figuren nah an den Zuschauer, macht sie berührbar.
Trotz des intuitiven Verständnisses von Pina Bauschs choreografischer Welt gibt sie nach letzten Auftritten in Renate wandert aus mit der Spielzeit 1977/78 den Tanz auf. Sie heiratet, bringt zwei Kinder zur Welt, unterstützt ihren Mann mehrere Jahre beim Kampf gegen Bodenerosion in Äthiopien. 1998 kehrt sie noch einmal auf Einladung von Pina Bausch für die Wiedereinstudierung von Blaubart nach Wuppertal zurück. Am 18. Juni 2020 stirbt Marlis Alt in der Schweiz.
Text von Norbert Servos
Galerie
Foto: Rolf Borzik © Pina Bausch Foundation